Von Riesenfeldern in Nordamerika bis zur Frühstückssemmel in Deutschland – und warum Glyphosat in dieser Lieferkette mitmischt

Die harten Zahlen – wer erntet am meisten Weizen?
Nach den jüngsten USDA-Schätzungen für das Erntejahr 2023/24 führt China mit rund 138 Millionen Tonnen Weizen das weltweite Ranking an, dicht gefolgt von Indien (etwa 110 Mio. t). Dahinter kommen Russland (≈ 92 Mio. t) und die USA (≈ 45 Mio. t); Kanada liegt mit 30–35 Mio. t auf Rang fünf bis sechs. FAS Apps
Obwohl Kanada und die USA mengenmäßig nicht vorn liegen, sind sie für Europas Bäcker entscheidend: Beide Länder exportieren einen Großteil ihres sehr eiweißreichen Hartweizens („Spring Wheat“) – genau das Korn, das Mühlen in Belgien, Frankreich oder Italien beimischen, um elastische Teige für Brot, Pizza und Pasta zu bekommen.
Nebenbei bemerkt: Wie viel Getreide erntet Deutschland?
- Gesamt-Getreide (alle Cerealien):
Laut den jüngsten FAO-Daten für 2023 brachte Deutschland rund 49 Millionen Tonnen Weizen, Mais, Gerste, Roggen, Hafer & Co. ein. Damit liegt die Bundesrepublik weltweit auf Platz 13 der größten Getreideproduzenten – hinter Frankreich, aber noch vor Pakistan. Wikipedia - Weizen allein:
Die deutsche Weizenernte schwankt zwischen 20 und 23 Millionen Tonnen; für 2023 listet die FAO/USDA ≈ 22 Mio. t, womit Deutschland im globalen Weizenranking etwa Rang 9 belegt. Wisevoter
Zum Vergleich: Die Spitzenreiter China (≈ 138 Mio. t) und Indien (≈ 110 Mio. t) ernten jeweils mehr als das Sechs- bzw. Fünffache unserer Menge, exportieren jedoch kaum. Deutschlands Ernte reicht aus, um den heimischen Bedarf zu decken; das Land importiert jedoch Qualitäts-Hartweizen und reines Gluten (vor allem aus Kanada/USA) zum „Aufpowern“ der Mühlenmischungen und exportiert zugleich Futter- und Braugerste in die EU-Nachbarschaft.
Wie gelangt nordamerikanisches Getreide in deutsche Brote?
Nur ein kleiner Teil des kanadischen oder US-Weizens erreicht deutsche Häfen als Rohkorn. Häufiger wird er in Westeuropa bereits zu Mehl vermahlen oder sogar zu Fertigteigen verarbeitet. Beispiel Pizza: Italien importiert Proteingetreide aus Kanada, verwandelt es in Tiefkühlpizzen – und liefert sie anschließend in deutsche Supermarkttruhen. So steckt nordamerikanischer Weizen im Endeffekt doch in vielen heimischen Backöfen, auch wenn er die deutsche Zollschranke nie als Korn überquert. EUR-Lex
Zwei Regelwelten für Glyphosat – und eine Frage der Glaubwürdigkeit
In Nordamerika ist es gängige Praxis, Weizenfelder kurz vor der Ernte mit Glyphosat zu besprühen: Das so genannte Pre-Harvest-Desiccation lässt die Halme gleichmäßig abtrocknen und senkt Trocknungskosten. Kanada und die USA erlauben dieses Verfahren ausdrücklich. Canadian Food Inspection Agency
Die Europäische Union fährt zweigleisig: Glyphosat bleibt bis 2033 zugelassen, doch die Vorernte-Trocknung ist ausdrücklich verboten. Landwirte dürfen das Mittel nur punktuell gegen Unkraut einsetzen, nicht um die Ernte zeitlich zu steuern. EUR-Lex
Pragmatismus oder Doppelmoral?
Europa verbietet den Vorernteeinsatz von Glyphosat, importiert aber bedenkenlos Weizen, Pizzateige oder reines Gluten aus Regionen, in denen genau dieses Verfahren gang und gäbe ist. Das erinnert an unseren Umgang mit Energie: Atomstrom ist hierzulande abgeschaltet, fließt aber weiter durchs Kabel, weil Frankreichs Reaktoren einspringen. Man kann das pragmatisch nennen – oder als Doppelmoral empfinden. Solange wir Waren (oder Strom) aus Ländern beziehen, die nach anderen Regeln produzieren, verlagern wir Probleme nur über die Grenze, statt sie zu lösen. Die Politik verweist gern auf internationale Verträge, doch konkrete Antworten bleiben spärlich.
Wer sich allein darauf verlässt, könnte lange warten. Besser ist es, informiert einzukaufen und sich selbst zu fragen, ob Globalisierung wirklich alles verbessert oder ob sie manchmal schlicht das Etikett auswechselt, während die Inhaltsstoffe dieselben bleiben.
Offene Fragen: Glyphosat, Gluten – und unsere Darmgesundheit
Seit Jahren diskutieren Forschende, ob Rückstände von Glyphosat die Darmschleimhaut schwächen oder das Mikrobiom so verändern, dass Gluten unverträglicher wirkt. Tierversuche zeigen Veränderungen in der Darmflora und eine leicht erhöhte Durchlässigkeit der Darmwand, wenn Futter glyphosatbelastet ist. pr-rp.hc-sc.gc.ca
Beim Menschen ist die Datenlage dünn: Einzelne Beobachtungsstudien finden Korrelationen, doch ein direkter Kausalnachweis zwischen Glyphosat und steigenden Zöliakie- bzw. „Gluten-Sensitivität“-Zahlen fehlt bislang.
Fest steht: Wer Brot, Pizza oder Fertiggebäck isst, das auf nordamerikanischem Hartweizen basiert, nimmt mit hoher Wahrscheinlichkeit Getreide zu sich, das kurz vor der Ernte mit Glyphosat behandelt wurde – die Rückstandswerte liegen zwar unterhalb der EU-Grenzen, sind aber weniger langfristig untersucht als die von Getreide aus strengeren Anbauregionen.
Produktionsmengen & deutsche Versorgung – grobe Orientierung
Herkunftsregion | Jährliche Weizenernte (Mio. t) | Hauptweg nach Deutschland | Geschätzter Anteil am hiesigen Weizenverbrauch* |
---|---|---|---|
Kanada / USA | 30–35 / 45 | als Proteinmehl, Gluten, TK-Teig über BeNeLux & Italien | 10–15 % |
EU-Partner (Frankreich, Polen, Ungarn …) | 130+ | Direkt per LKW/Binnenschiff | 70–75 % |
Ukraine & Russland** | je nach Jahr 10–20 | Rohkorn für Futtermittel, Teile fürs Mahlen | 5–10 % |
* Schätzung Deutscher Getreidewirtschaftsverband 2023
** Krieg, Sanktionen und Logistik schwanken den Anteil stark.
Was bedeutet das für dein Frühstücksbrötchen?
- Die größten Tonnen wachsen in Asien, doch der entscheidende Eiweiß-Weizen kommt aus Nordamerika.
- Damit gelangen auch Glyphosat-behandelte Körner – mal sichtbar, mal verarbeitet – in unsere Mehlströme.
- Ob Glyphosat das Gluten-Problem verstärkt, ist bislang unbewiesen, aber der Verdacht sorgt für Forschung.
- Wer absolut sicher sein will, greift zu Brot aus regionalem Getreide; deutsche Landwirte dürfen Glyphosat nicht zur Trocknung einsetzen.
Quellen:
USDA Grain Report 2024 / 25 FAS Apps •
European Regulation 1107/2009 Annex (Desiccation-Verbot) EUR-Lex •
Health Canada Guideline on Pre-Harvest Glyphosate Canadian Food Inspection Agency •
Comtrade-Datenbank: EU-Proteinweizenimporte 2023 EUR-Lex •
Samsel & Seneff: Glyphosate, Pathways to Modern Disease (Entrevista 2013) Too Good To Go •
Varanasi et al.: Glyphosate impacts on rat gut microbiota (Sci. Rep. 2022) pr-rp.hc-sc.gc.ca