Was Gluten eigentlich ist

Gluten ist kein Zusatzstoff, sondern ein natürliches Eiweiß­gerüst aus Gliadin + Glutenin, das im Teig beim Kneten entsteht. Ohne dieses Netzwerk gäbe es weder luftig-knuspriges Baguette noch zähen Pizzateig.


Gluten – Freund und Helfer in der Backstube

Warum Bäcker es liebenKonkreter Effekt
Elastisch & dehnbarTeig lässt sich formen, ohne zu reißen
GasrückhaltCO₂ bleibt in Bläschen → lockere Krume
WasserbindungBrot bleibt länger saftig
BräunungProteine reagieren in der Kruste (Maillard)

Industrieproblem: Um Teigmaschinen auf Hochtouren fahren zu können, wird oft reines Gluten beigemischt – die Mengen sind deutlich höher als im traditionellen Handwerk.

Das Gluten verleiht dem Teig seine typische Struktur

„Ich vertrage kein Gluten“ – drei Krankheits­bilder im Vergleich

KrankheitsbildHäufigkeitSymptomeTherapie
Zöliakie (autoimmun)~ 1 %Darm­entzündung, Mangel­symptomeLebenslang strikt glutenfrei
Weizen­allergie< 0,3 %Sofortreaktionen (Juckreiz, Asthma)Weizen meiden, Gluten oft tolerierbar
Nicht-Zöliakie-Gluten/Weizen-Sensitivität (NCGS)3–6 % *Blähungen, MüdigkeitGluten reduzieren, lange fermentierte Brote oft verträglich

* Schätzwerte, weil keine eindeutigen Blut- oder Biopsie­marker existieren.


Warum heute so viele Gluten verdächtigen

  1. Höhere Dosis – Zusatzgluten + „weißes“ Weizen­mehl dominiert das Sortiment.
  2. Kurze Teigführung – Industrie spart Zeit, FODMAPs & ATI bleiben höher.
  3. Medialer Hype – Social-Media-Trend → „glutenfrei“ als Gesundheits-Label.
  4. Verwechselte Auslöser – FODMAPs, ATI*, Pestizid­reste oder Enzyme können Beschwerden machen, werden aber oft pauschal Gluten angelastet.

* ATI = Amylase-Trypsin-Inhibitoren; aktivieren bei manchen das angeborene Immunsystem.


Wer wirklich glutenfrei leben sollte …

  • Zöliakie-Patient*innen – hier zählt jeder Krümel.
  • Bestätigte Weizen­allergie – notfalls Notfallpen bereithalten.

… und wer meist davon profitiert, Brotqualität statt Gluten­freiheit zu wählen:

Menschen mit NCGS vertragen häufig lang gereifte Sauerteige, Ur-Getreide­mischungen & geringe Hefe-Dosen deutlich besser als Industrie-Brot.


Glutenfrei ≠ gesund

Glutenfreie Sandwichscheiben bestehen oft aus Reisstärke, Zucker, Verdickungsmitteln – Nährstoffe fehlen, Blutzucker schnellt hoch. Ein handwerkliches Roggen-Vollkornbrot enthält mehr Ballaststoffe, Vitamine und besseres Aroma.

Brot und andere glutenfreie Produkte in Verpackungen verschiedener Marken in den Regalen eines italienischen Supermarkts. Ob das wirklich gesund ist?

Einkauf & Backen – praktische Tipps

  1. Zutatenliste lesen: Mehl, Wasser, Salz, Sauerteig/Hefe – mehr braucht echtes Brot nicht.
  2. Lange Fermentation suchen: 12-18 h+ reife Teige (Bäcker fragen!) bauen FODMAPs & ATI ab.
  3. Mischgetreide ausprobieren: Dinkel-Roggen-Mischbrot oder 10 % Einkorn bringen Abwechslung.
  4. Glutenfrei nur bei klarer Diagnose: Sonst riskierst du nährstoff­arme Ersatzprodukte.
  5. Selber testen: Ein Stück traditionelles Sauerteigbrot essen und Reaktion beobachten – viele spüren sofort den Unterschied.

Fazit

Gluten ist nicht der leibhaftige Feind, sondern ein natürlicher „Kleber“, der Brot erst möglich macht. Probleme entstehen vor allem durch zu viel, zu schnell und zu industriell. Mit langen Sauerteigen, reinen Zutaten und handwerklicher Sorgfalt wird Brot für die allermeisten wieder gut verträglich – ganz ohne „Plastikbrot“.


Quellen: Deutsches Brotinstitut, DZG (Deutsche Zöliakie Gesellschaft), FAO 2024, USDA Outlook 2025, Nutrients (2023) Review on NCGS

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