Warum wir jeden dritten Laib verheizen – und was wir dagegen tun können.
Während hierzulande jeder dritte Brotlaib unberührt in der Tonne landet, wissen andernorts Menschen nicht, woher sie ihr nächstes Stück Brot bekommen sollen – Brotverschwendung ist damit längst nicht nur ein Wohlstandsproblem, sondern ein Zeichen globaler sozialer Ungerechtigkeit und wirft die Frage auf, ob Brot für manche schon zum Luxusgut geworden ist.

Es riecht so gut … und landet doch im Müll

Stell dir vor, du betrittst spätabends eine Bäckerei. Die Regale sind noch prall gefüllt: rustikale Landbrote, körnige Mehrkornlaibe, ein paar glänzende Laugenstangen. Ein wunderbares Bild – und ein verheerendes. Denn nur wenige Minuten nach Ladenschluss verschwinden die übrig gebliebenen Köstlichkeiten in einem schwarzen Sack. Statistiker*innen rechnen es nüchtern vor: In Deutschland werden jedes Jahr rund sechs Millionen Tonnen Backwaren hergestellt – und weit über eine Million Tonnen davon wandern ungekostet in die Tonne. Das ist, als würden wir jeden dritten Brötchenkorb direkt nach dem Backen mit Anlauf in die Müllverbrennung schubsen.
Wieso backen Bäcker mehr Brot, als sie verkaufen?
So banal es klingt: Niemand mag leere Körbe. Wer kurz vor Feierabend doch noch Brot braucht, ist verärgert, wenn nichts mehr da ist. Also backt man lieber „auf Sicherheit“. Supermärkte treiben dieses Spiel auf die Spitze. Eine vollständig bestückte Auslage bis 21 Uhr ist Teil des Services – unabhängig davon, ob noch Kundschaft kommt. Lieber zehn Brote zu viel als ein Kunde zu wenig. Das Ergebnis: Kisten voller übrig gebliebener Teigwaren, die per Vorschrift nicht mehr verkauft werden dürfen.
Was passiert mit all dem überschüssigen Brot?
Kurzantwort: Ein Teil wird gerettet, ein größerer Teil landet als Tierfutter oder im Biogas – und erstaunlich viel wandert schlicht in den Müll.
Umfang der Überschüsse
Aktuell entstehen laut WWF und Umweltbundesamt jährlich 1–1,7 Mio. t Brot- und Backwarenverluste in Deutschland. WWF Deutschland
Wo landet das Brot? – grobe Verteilung
Verwertungsweg | Typische Größenordnung* | Was genau geschieht? | Quellen |
---|---|---|---|
Lebensmittelspenden (Tafeln, Foodsharing, „Too Good To Go“) | ca. 8–12 % | Bäckereien/LEH geben tagesfrische Ware ab; Tafeln verteilen wöchentlich > 100 t Brot | share GmbHMünchner Tafel e.V. |
Tierfutter & „Brotmehl“-Recycling | ca. 40–45 % | Überschussbrot wird getrocknet, zermahlen und als energiereiches Futtermittel oder Bäckerei-Rework-Mehl eingesetzt (Firmen wie BWR, Hagemann). | bwr-nooren.deHagemann Dienste GmbH |
Biogas / Bioethanol | ca. 25–30 % | Altbrot vergärt in Anlagen oder wird – neuerdings – zu Ethanol gebrannt (Pilotanlage Uni Hohenheim). | 320°WWF Deutschland |
Entsorgung (Müll / Kompost) | ca. 15–20 % | Verbleib ohne Nutzung, v. a. aus Haushalten & Kleinbetrieben. | BMEL |
* Spannbreiten aus WWF-Studie „Unser täglich Brot“ (2018) und Branchenangaben 2023/24. Werte schwanken regional und je nach Rohstoffpreis.
Organisationen, die Brot retten
- Tafel Deutschland – holt täglich Backwarenspenden von Bäckereien, Supermärkten & Discountern ab und verteilt sie an über zwei Millionen Bedürftige.share GmbH
- Foodsharing & Fair-Teiler – freiwillige „Foodsaver“ sammeln übrig gebliebene Brote nach Ladenschluss und stellen sie in öffentlichen Kühlschränken bereit.
- Too Good To Go – App, über die Konsument*innen vergünstigte Überraschungs-Tüten mit Backwaren abholen können.
- Tierfutter-Recycler (BWR GmbH, Hagemann Dienste) – übernehmen unverkaufte Ware und verarbeiten sie zu getrocknetem Brotgranulat.bwr-nooren.deHagemann Dienste GmbH
- Brotbrennerei Friedrichshafen – Pilotprojekt, das Altbackwaren in Bioethanol umwandelt, statt sie zu deponieren.320°
Unterm Strich
Trotz engagierter Tafeln, Apps & Recyclingbetriebe landet immer noch rund ein Fünftel aller Backwaren direkt im Abfall. Jede gerettete Scheibe spart Wasser, Ackerfläche und Treibhausgase – und entlastet gleichzeitig das Sozialsystem. Es lohnt sich also, nachzufragen, mitzuretten oder selbst kreativ zu verwerten, bevor Brot unnötig vergärt, verfüttert oder verbrannt wird.
Was im Eiskeller und im eigenen Haushalt schiefgeht
Auch wir zuhause tragen unseren Teil bei. Sonderangebote wie „Zehn Brötchen zum Preis von fünf“ klingen unwiderstehlich. Dumm nur, wenn am Abend plötzlich die Pizzeria ruft und die Brötchen am nächsten Morgen pappig sind. Dann landet das vergessene Gebäck im Biomüll – somit haben wir den Weg des Brotes um einmal in die Tonne verlängert.
Die unsichtbare Klima-Quittung
Für jedes weggeworfene Brot wurden Felder gepflügt, Saatgut gezüchtet, Getreide gedroschen, Mehl gemahlen, Öfen auf 250 °C aufgeheizt und Lieferwagen durch die Gegend geschickt. Rechnet man das hoch, verursachen all die verlorenen Laibe laut Umweltbundesamt Jahr für Jahr gut zwei Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente – grob so viel, wie eine Großstadt an Haushaltsstrom verbraucht. Und dabei wärmen wir nicht mal eine Scheibe davon im Toaster auf.
Was wir dagegen tun können – ganz ohne erhobenen Zeigefinger
Erstens: Bäckereien, die nachmittags kleiner nachbacken, anstatt morgens alles vorzuproduzieren, reduzieren ihre Überschüsse drastisch – und viele tun das längst. Wenn dein Lieblingsbäcker ab 16 Uhr nicht mehr jedes Brot vorrätig hat, ist das kein schlechter Service, sondern gelebte Ressourcenschonung.
Zweitens: Es gibt Apps wie „Too Good To Go“, in denen man am Abend bunt gemischte Brot-Tüten für kleines Geld rettet. Eine Überraschungstüte – etwas Abenteuer darf beim Abendbrot ruhig sein.
Drittens: Für daheim gilt: Scheiben lassen sich einfrieren. Wer sie gefroren direkt in den Toaster steckt, bekommt binnen zwei Minuten beinahe ofenfrische Brotscheiben und spart sich das schuldgeplagte Wegwerfen am dritten Tag. Altbackenes Brot wiederum ist die Mutter aller Knödel, Croutons und „Armen Ritter“. Und wer es mag, der kann aus altem Brot und Brötchen auch sein eigenes Semmelmehl herstellen.
Frankreich macht’s vor, Österreich macht’s flott
Unsere Nachbarn zeigen, wie Politik helfen kann: Französische Boulangerien locken kurz vor Feierabend mit offiziellen Happy-Hour-Preisen. Die Kundschaft freut sich über halbe Kosten, der Bäcker über leere Regale. In Wien sammeln sogenannte „Brotboxen“ die Reste vieler Filialen ein und beliefern damit unverzüglich Tafeln und Sozialküchen – eine kleine Logistik-Meisterleistung im Dienste der Krume.
Auch hierzulande entstehen immer mehr findige Konzepte, die Lebensmittel rechtzeitig vor der Tonne bewahren. In 24/7-Selbstbedienungsläden wie Tante Enso gibt es ein festes „Rette-Lebensmittel“-Regal: Überreife Weintrauben, reife Bananen oder Tomaten, die im klassischen Supermarkt übers Wochenende verderben würden, wandern dort zum Sonderpreis hinein. Noch spannender für Brotliebhaber ist der rund um die Uhr zugängliche SB-Backtresen: Der Bäcker stellt Brote, Brötchen und andere Backwaren ein, und Nachtschwärmer oder Frühaufsteher können sich jederzeit bedienen. So entkoppelt sich der Verkauf vom starren Ladenschluss, es werden deutlich weniger Backwaren gebacken, nur um entsorgt zu werden, und Kunden sparen Geld, während gutes Brot seinen eigentlichen Zweck erfüllt – gegessen zu werden, statt im Müll zu landen.
Am Ende bleibt eine einfache Wahrheit
Brot war über Jahrtausende so kostbar, dass Menschen noch die Krümel vom Tisch fegten und trockene Kanten für Suppen aufhoben. Heute stehen wir in prall gefüllten Back-Shops und lassen Laibe verkommen, bloß weil morgen schon Neues wartet. Dabei kostet uns die scheinbare Fülle nicht nur Ressourcen und Geld, sondern auch Respekt vor dem Handwerk.
Also: Kauf, was du wirklich isst. Freu dich über besonders knappe Regale am späten Abend. Und rette ein paar Brotscheiben, bevor sie zu Biomüll werden – dein Teller, dein Klima und dein Portemonnaie werden es dir danken.
Quellen: WWF-Studie „Brot für die Tonne“ (2022); Umweltbundesamt „Lebensmittelabfälle in Deutschland“ (2023); Too Good To Go Impact Report (2024)