Wie industrielle Backprozesse die Nährstoffe in Brot reduzieren


Frische, heiße Brote aus dem Ofen auf einem Fließband in der Bäckerei.

    Bevor wir uns weiter mit Mehl und Mehlsorten beschäftigen beantworte ich euch zwei Fragen im voraus:

    Was bedeuten eigentlich Type 405, 550 oder 1050 beim Mehl?

    In Deutschland verrät die Typennummer auf dem Mehlsack, wie stark das Korn ausgemahlen wurde – also wie viel Kleie + Keimling (und damit Mineralstoffe) noch enthalten sind. Gemessen wird der Mineralstoffgehalt in mg pro 100 g Mehl, anschließend mit 10 multipliziert:
    Type 405 enthält nur etwa 0,40 % Mineralstoffe (fast reines Endosperm), Type 550 knapp 0,55 %, Type 1050 rund 1,05 %. Vollkornmehl hat gar keine Nummer, weil das ganze Korn vermahlen wird; sein Mineralstoffgehalt liegt bei 1,8–2,0 %.

    Je niedriger also die Typzahl, desto „weißer“ das Mehl – und desto mehr Vitamine, Ballast- und Mineralstoffe sind schon vor dem Backen verloren gegangen.

    Was ist die Maillard-Reaktion (sprich: „Majár“)

    Die Maillard-Reaktion ist die chemische Bräunungs­reaktion, die auftritt, wenn Eiweiß-Bausteine (Aminosäuren) und Zucker bei hohen Temperaturen zusammentreffen. Dabei entstehen:

    • Braune Farbstoffe – machen Brotkrusten, Kaffee­bohnen oder Steak­ränder appetitlich dunkel.
    • Röst- und Karamell­aromen – alles von malzig-brotig bis hin zu Kaffee- und Schoko­noten.
    • Leichter Nährstoffverlust – bestimmte Aminosäuren (v. a. Lysin) werden gebunden und stehen dem Körper nicht mehr voll zur Verfügung.

    Die Reaktion startet ab etwa 140 °C und läuft umso schneller, je höher Hitze, Zucker- und Eiweißgehalt sind. Sie ist also der Hauptgrund, warum ein goldbraunes Brot deutlich aromatischer schmeckt als eine blasse, unterbackene Kruste.


    Warum Nährstoffe auf dem Weg vom Korn zum Toast verschwinden

    ProzessschrittHaupt­ursache für VerlusteBetroffene Nährstoffe
    Ausmahlen (Type 405)Keimling & Kleie entferntBallaststoffe, Mg, Zn, Fe, Vitamin E, B-Vitamine
    Konditionierung & Lagerung des MehlsSauerstoff + LichtVitamin E, Carotinoide
    Kurzzeit-Backen (> 260 °C, ≤ 8 min)Hitze, MaillardThiamin (B1), Folsäure, Lys­in
    Hohe Hefedosierung + EnzymepH-Anstieg, beschleunigte StärkeabbauprodukteResistant Starch, Antioxidative Phenole
    Nachbacken / Aufbackenerneute Hitzeeinwirkungzusätzliche Vitamin­verluste

    Wie stark sind die Verluste? (Richtwerte)

    NährstoffHandwerk (220 °C / 40 min)Industrie (280 °C / 7 min, Weiß­mehl)
    Thiamin (B1)− 15 %− 45 %
    Folsäure− 10 %− 40 %
    Vitamin E− 20 % (durch Mehlausmahlen)− 95 % (Ausmahlen + Hitze)
    Magnesiumkaum Verlust− 70 % (fehlender Keimling)
    Ballaststoffeleicht reduziert− 80 %
    Lysine-Verfügbarkeit− 5 %− 35 % (Maillard-Bindungen)

    Quellen: BLS-Database, Reimer et al. 2023 (Food Chem.), Skendi & Papageorgiou 2022 (Cereal Chem.).


    Warum Temperatur & Zeit den Unterschied machen

    • Vitamine sind hitze- & sauerstoffempfindlich – je kürzer die Backzeit bei extremer Spitze, desto größer der prozentuale Verlust.
    • Maillard bindet Aminosäuren (v. a. Lysin), senkt biologische Wertigkeit des Eiweißes.
    • Enzyme + Zusatzgluten verkürzen Gärwege – Mikroben bauen weniger Phytat & FODMAPs ab, Mineralien bleiben schlechter verfügbar.

    Kurzer Hinweis für Aufback-Fans

    Brötchen, die in der Großbäckerei vorgebacken, tiefgekühlt und im Backshop noch einmal aufgeknuspert werden, verlieren bei dieser „Doppelhitze“ nochmal deutlich mehr wertvolle Vitamine (z. B. Folat und Thiamin) und binden zusätzlich mehr Lysin, während zugleich die Acrylamid-Belastung steigt – das belegen Vergleichsstudien zu Vitamin­retention und Hochtemperatur-/Re-Bake-Verfahren. cerealsgrains.orgPMC

    (Alle Details – inklusive Nährstofftabellen und Acrylamid­werten – findest du im separaten Blogbeitrag „Aufbackware: doppelt gebacken, doppelt verloren)

    Praktische Tipps, um Nährstoffe zu retten

    1. Vollkornanteil erhöhen – Keimling & Kleie liefern Rohmaterial.
    2. Lange / milde Backprofile (z. B. 200–220 °C, längere Zeit) – schützt hitze­sensible B-Vitamine.
    3. Sauerteig statt Turbo-Hefe – pH-Absenkung aktiviert Phytase → besserer Mineralstoff­zugang.
    4. Frisch mahlen oder Mehl kühl lagern – weniger Vitamin-E-Oxidation.
    5. Aufbacken nur einmal – Doppel­hitze killt zusätzliche Vitamine.
    6. Mehrschrot-Pumpernickel (lang, „niedrige“ 110 °C-Dampfgarung) – konserviert B-Vitamine erstaunlich gut, trotz dunkler Farbe.

    Fazit

    Industrielle Schnellbackprozesse sparen Minuten, kosten jedoch Ballaststoffe, Vitamine und die biologische Wertigkeit des Proteins. Zeit, moderate Temperatur und das ganze Korn bleiben die besten „Nährstoffgaranten“. Wer handwerkliche Brote mit längerer Back­zeit oder selbstgebackene Vollkornlaibe wählt, bekommt deutlich mehr vom Korn – und muss keine Vitaminpillen zum Toast schlucken.


    Quellen:
    Reimer et al., Food Chemistry 2023 – Vitaminverluste bei Hochtemperaturbacken; Skendi & Papageorgiou, Cereal Chemistry 2022 – Impact of baking time/temperature on amino-acid availability; BLS 3.02 Nährwertdaten; USDA Table of Nutrient Retention Factors (Release 2022); Deutsches Brotinstitut Info „Vitamine in Vollkorn vs. Weißmehl“.

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